Immer häufiger fördert Bürgerbeteiligung Partikularinteressen. Wo bleibt eigentlich das Gemeinwohl?
Die Einbeziehung von Bürgerinnen und Bürgern in Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse – oft vereinfacht „Bürgerbeteiligung“ genannt – ist ein Eckpfeiler der Demokratie. Leider hat sie auch eine zweite Seite – sie ist nicht nur ein „Wert an sich“, sie ist immer auch interessengesteuert.
Gern bleibt diese zweite Seite der Medaille unbeachtet. Das ist mindestens dann fahrlässig, wenn in Beteiligungsprozesse von Individualinteressen dominiert werden.
Die Aktivierung von immer mehr Personen zur „Beteiligung“, zur Geltendmachung ihrer Interessen, führt in unserer stark fragmentierten Mediengesellschaft zunächst einmal dazu, dass immer mehr Partikularinteressen sich im allgemeinen gesellschaftlichen Diskurs und in einem konkreten Beteiligungsprozess versammeln (können).
Dafür ist dieser Prozess auch da. Die Beleuchtung dieser partikularen Interessen, das Herausarbeiten zwangsläufiger Konfliktthemen bestimmen oft auch seine öffentliche und mediale Wahrnehmung.
Aber wer vertritt in einem solchen Prozess eigentlich das Gemeinwohl? Und welches Gewicht hat es im anschwellenden Konzert der verschiedenen Interessen?
Politikerinnen und Politiker verstehen sich in der Ausübung ihres Mandats als Anwälte der Wählerinnen und Wähler. Allerdings oft (immer mehr) der Wählerinnen und Wähler in ihrem Wahlkreis – dort, wo sie aufgestellt wurden und auch wieder gewählt werden wollen. Seltener hat ein überregionaler Fokus, das Interesse der Kommune, des Landes oder die Gestaltung von in der Zukunft wirksamen Themen, gleiches oder sogar größeres Gewicht als die Anliegen vor Ort. Prototypisches Beispiel für dieses Politikerverhalten ist die grundsätzliche Befürwortung der Energiewende, des Ausbaus erneuerbarer Energien und des Ausbaus der Stromnetze im Allgemeinen und die gleichzeitige erbitterte Bekämpfung der konkreten Projekte vor Ort.
Ich weiß, es gibt Ausnahmen.
Die öffentliche Verwaltung, per Definition „Hüter der Verfahren“, führt diese nach geltenden Regeln durch – ohne Partei zu ergreifen. Sie ist natürlich in ihren Handlungen nicht nur durch das allgemeine Regelwerk, sondern auch durch eigene Projekte und (kommunalpolitische) Ziele beeinflusst oder gebunden.
Hier soll nicht darüber geklagt werden, dass Politik und Verwaltung – gerade bei akzeptanzkritischen Themen und Projekten – ihre Rolle so und nicht anders interpretieren.
In den letzten Jahren wurde die Bürgerbeteiligung – weitgehend undifferenziert – gefördert. Auch wir hatten damit die Hoffnung verbunden, dass dies ein Beitrag zur Stärkung der Demokratie und zum Erringen von Akzeptanz sein kann. Es wurde jedoch versäumt, gleichzeitig dafür zu sorgen, dass die Vertretung des Gemeinwohls – auf jeder politischen Ebene – mindestens ebenso gestärkt wird.
Wäre es nicht Zeit, darüber nachzudenken, wie ein Gleichgewicht von begründeten Partikularinteressen und dem Gemeinwohl wiederhergestellt werden kann?