Am 14. August haben wir Dr. Hinrich Lehmann-Grube beerdigt.
Die Stadt Leipzig ehrte ihren Ehrenbürger mit einem Trauergottesdienst in der Thomaskirche.
Er war Beigeordneter in Köln, Oberstadtdirektor in Hannover und – vor allen Dingen – hoch erfolgreicher und geachteter Oberbürgermeister im Nachwende-Leipzig. Er war Familienvater und Freund, ein Sozialdemokrat, wie man sich einen vorstellt -aber kein Parteisoldat.
Über seine Verdienste ist in den letzten Tagen viel geschrieben worden. Für uns, die den Vorzug hatten, für ihn in prägenden Zeiten zu arbeiten, und die ihm und seiner Frau Ursula später freundschaftlich verbunden waren, gibt es da wenig hinzuzufügen.
Einige Konturen und Schattierungen in dem Bild, das jetzt von ihm gezeichnet wird, sollten klarer, kontrastreicher sein, damit es ihm auch gerecht wird. Klar und deutlich, ohne dabei zu verklären.
Was bleibt also?
Nichts weniger als ein “Stadtchef”
Im ihrem Leitartikel am Tag nach seinem Tod bezeichnet ihn die Leipziger Volkszeitung als “ehemaligen Stadtchef”. Was für ein Missverständnis!
Hinrich Lehmann-Grube hat sich als nichts weniger gefühlt denn als “Chef der Stadt”, auf die er sich so sehr eingelassen hat. Mehr als einmal ist ihm diese Rolle – gerade in den unmittelbaren Nachwendezeiten – von den diktaturgeprägten und im Eingabesystem der DDR erfahrenen Leipzigerinnen und Leipzigern angedient worden.
Als Oberbürgermeister sah er aber eine seiner vornehmsten Aufgaben darin, das geschundene Selbstbewusstsein der Stadt zu stärken, Bürgersinn wiederzuerwecken und zu bürgerschaftlichem Engagement zu ermuntern. Er verstand sich als “Gärtner in einem schönen, aber verwilderten Park“ – an dieses Bild ist in mancher Trauerrede erinnert worden.
Dem Stadtrat war er ein umsichtiger, erfahrener Vorsitzender in einer Zeit, in der es an demokratischen Erfahrungen noch mangelte. Er saß dem Rat vor – er thronte nicht über ihm.
Erfahrungen nutzen und ihnen gleichzeitig misstrauen
Hinrich Lehmann-Grube kam mit einem reichen Erfahrungsschatz nach Leipzig. Ein gutes Fundament für eine nahezu übermenschliche Aufgabe in wilden Zeiten.
Er hat der Versuchung widerstanden, sich auf diesen Erfahrungen auszuruhen. Er war offen für Neues, organisierte sich Widerspruch und hielt ihn auch aus.
Er glaubte sich nicht im Besitz der Wahrheit. Am Ende einer Auseinandersetzung entschied er deshalb nicht “was wahr und richtig ist”, sondern “was in der jeweiligen Situation gilt”. Er war sich des feinen Unterschiedes immer bewusst.
Ratgeber und Zuhörer
Oft ist Hinrich Lehmann-Grube in den vielen Wortmeldungen nach seinem Tode als “unverzichtbarer Ratgeber und Vorbild” bezeichnet worden. Für die, die sich nicht nur mit ihm schmücken wollten, war er ein kenntnisreicher, urteilssicherer Partner. Nicht vorschnell im Urteil, zuhörend, klug nachfragend, zupackend und in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Er war ein guter Zuhörer. “Dazu habe ich bisher nur eine Meinung und noch kein Urteil” war ein Satz, der seine analytische Herangehensweise gut beschreibt.
“Das tut man nicht.”
Hinrich Lehmann-Grube hatte einen guten Kompass im Leben. Nicht – wie man es von einem Juristen vielleicht erwarten könnte – in einem juristischen, regulatorischen Sinne.
Bei ihm kamen Charakterstärke, Integrität, Menschlichkeit mit politischer und exekutiver Kompetenz zusammen.
Bei der Beantwortung der Frage, “was man tut” – und was eben auch nicht – war er uns in seinem Umfeld deshalb Vorbild. Viele dieser Ansichten prägen unser Tun und unsere Abwägungen noch heute.
Hinrich Lehmann-Grube war nicht nur ein Glücksfall für Leipzig – es ist ein Glück, ihn erlebt und sich mit ihm auseinandergesetzt zu haben.
Leipzig, am 16. August 2017
Katharina und Uwe Hitschfeld