Zur „Öffentliche Konsultation zur Sommerzeitregelung“ der EU-Kommission
von Uwe Hitschfeld
Über das Für und Wider der EU-einheitlichen Sommerzeitregelung mit ihrer halbjährlichen Zeitumstellung wird seit langem debattiert. Nun wird die bestehende EU-Richtlinie im Auftrag des Europaparlaments einer gründlichen Prüfung und Bewertung unterzogen. Dazu startete die Europäische Kommission eine Online-Befragung, um – wie es heißt – „die Meinungen der europäischen Bürgerinnen und Bürger, Interessenträger und Mitgliedstaaten zu möglichen Änderungen der derzeitigen Sommerzeitregelung zusammentragen“. Man kann sich bis zum 16. August daran beteiligen. Bisher ist die Beteiligung erwartungsgemäß hoch; nach der Freischaltung der entsprechenden Webseite traten bereits nach kurzer Zeit Serverprobleme auf.
Schwerer als die Frage, ob die Sommerzeit tatsächlich zu den drängendsten Problemen gehört, um die sich die EU jetzt kümmern muss, wiegt ein anderes, methodisches Problem. Auf der vermeintlich hochsoliden Teilnehmerbasis wird nämlich mitnichten ein belastbares Meinungsbild der EU-Bevölkerung erhoben. Zu Wort melden sich bei solchen Formaten vorzugsweise aktive, interessierte Bürgerinnen und Bürger und Aktivisten mit einer evidenten (politischen oder persönlichen) Agenda.
Die daraus resultierende Verzerrung des Befragungsergebnisses geht in erster Linie zu Lasten der Repräsentativität und wird auch nicht durch statistische Fehlertoleranz aufgefangen.
Die Schlüsse, die aus einer solchen Befragung gezogen werden, sind deshalb mit großer Vorsicht zu genießen und taugen – wenn überhaupt – in höchst eingeschränktem Maße als Grundlage für politisches Handeln. Werden sie aber nicht zu Grundlage politischen Handelns, ergibt sich die Frage nach dem Sinn der Aktion und dem politischen Flurschaden, der bei den Teilnehmern der „Konsultation“ durch Nichtbeachtung ihrer Wortmeldung, ihrer Beteiligung entsteht.
Die Falle, in die sich die Kommission hier begeben hat, ist auch auf anderen, politischen Ebenen, von der Kommunal- bis zur Bundespolitik aufgestellt. Sie besteht darin, dass zur Erhebung eines relevanten Meinungsbildes eben nicht nur die aktiven, an der Sache interessierten oder betroffenen Bürgerinnen und Bürger (d.h. die, die sich beteiligen) gehören, sondern auch die Teile der Bevölkerung, die sich nicht beteiligen, sich nicht äußern oder sich nicht auf andere Art an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligen. Die Einbeziehung dieser „schweigenden Bevölkerungsgruppe, oft tatsächlich der „schweigenden Mehrheit“ kann – zum Beispiel – durch repräsentative Meinungsforschung und durch eine Steuerung der Partizipation geschehen.
Die Initiatoren der öffentlichen Konsultation in Brüssel und Straßburg wären – wie auch die verschiedenen Akteure in den deutschen Kommunen, Ländern oder im Bund – gut beraten, Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse nicht durch falsch angelegte, vermeindliche Partizipation zu erschweren. Derlei „Placebo-Beteiligungsformate“ leisten nicht zuletzt der ohnehin grassierenden Politikverdrossenheit Vorschub.
Auch in diesem Fall gilt: Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht.