Im Abschlussbericht der Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung („Kohlekommission”) wird vorgeschlagen, in den Revieren „Anpassungen der Rechtsgrundlagen zur Beschleunigung von Planungen und Genehmigungen“ zu prüfen.
Diese Planungsbeschleunigung gilt inzwischen – neben dem (Steuer-)Geld, das fließen soll – als eine wesentliche Bedingung für das Gelingen des Strukturwandels. Auf der Regionalkonferenz am 4. März im Mitteldeutschen Revier (Böhlen) betonten die Ministerpräsidenten von Sachsen und Sachsen-Anhalt, Kretschmer und Haselhoff, übereinstimmend, dass der Strukturwandel nur gelingen werde, wenn es eine Planungsbeschleunigung gebe. „Sonst haben wir keine Chance“ (Haselhoff).
So richtig dies als Forderung gegenüber dem Gesetzgeber sein mag, ruft sie sofort Einwände und Besorgnisse hervor:
- Wird eine Beschleunigung von Planungsvorhaben (von Infrastrukturprojekten) zu Lasten der Umwelt gehen?
Und:
- Was wird mit den Mitwirkungsrechten der Bürgerinnen und Bürger?
Wir können sicher davon ausgehen, dass die Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger ein entscheidender Faktor bei der Erringung und Sicherung von Akzeptanz für die Maßnahmen des Strukturwandels sein wird. Deshalb lohnt es, sich von Beginn an Gedanken zu machen, wie man die – zweifellos notwendige – Beschleunigung von Planung und Realisierung von Infrastrukturmaßnahmen mit dem gesellschaftlichen Anspruch nach mehr Einbeziehung der BürgerInnen in die Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozesse zusammenbringen kann.
Wenn man den Aspekt berücksichtigt, dass eine Beschleunigung von Projektplanung und Genehmigung ja nicht nur mit der Formulierung von Regeln, sondern auch mit dem Vorhandensein von Planungskapazitäten und Ressourcen bei mitwirkenden und genehmigenden Behörden zu tun hat, lohnt hier ein Blick über den Tellerrand:
Die Beschleunigung des Ausbaus der deutschen Stromnetze im Rahmen der Energiewende hat durchaus nicht dazu geführt, dass die Belange des Umweltschutzes „unter die Räder einer rollenden Investitionsmaschine geraten“ wären. Dies haben wir in einer Studie für das Umweltbundesamt (UBA) aktuell nachweisen können („UBA-Studie zum Netzausbau veröffentlicht“ vom Dezember 2018). Dies wird – unter anderem – auf das inzwischen angesammelte diesbezügliche Know-how bei Projektträgern und Behörden, insbesondere aber auf die qualifizierte Arbeit des Bundesverwaltungsgerichts zurückgeführt.
Bei den formalen und s. g. „informellen“, „freiwilligen“ Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen muss man gründlicher vorgehen:
Während Projektträger und Behörden sich laufend mit der Bearbeitung von Projekten befassen, hängt das Interesse der Bürgerinnen und Bürger oft von einer realen oder gefühlten persönlichen Betroffenheit ab, die durch ein konkretes Projekt hervorgerufen wird. Das ist für „natürliche Personen“ – meist – ein einmaliger Vorgang. Auf vorhandene Kenntnisse kann dabei selten zurückgegriffen werden, die Ressourcen sind knapp und müssen in einem knappen Zeitfenster, das durch Fristen gesetzt wird, aufgebaut und genutzt werden.
Wenn diese Fristen im Interesse der Planungsbeschleunigung verkürzt werden, haben Bürgerinnen und Bürger ein Problem.
Nun kann man davon ausgehen, dass der Strukturwandel nicht nur von Projektträgern, Planern und Behörden besondere Anstrengungen verlangt. Auch Bürgerinnen und Bürgern kann man in diesem Zusammenhang durchaus mehr zumuten als sonst. Dazu gehört vielleicht auch, dass sich Bürgerinnen und Bürger schneller in einen Sachverhalt einarbeiten, einen Einwand schneller und fundierter formulieren müssen. Allerdings muss man ihnen dabei helfen.
Sinnvoll wäre die Bildung eines steuerfinanzierten, neutralen Sachverständigenpools, der Bürgerinnen und Bürgern, Bürgerinitiativen und NGOs kostenlos zur Verfügung steht und der ihnen hilft, sich kurzfristig in komplexe Materien und Projektzusammenhänge einzuarbeiten und ihre Interessen sachkundig zu formulieren. Dass dies nicht zu einer Akquisitionsmaschine für Anwälte oder Sachverständige gerät, lässt sich regeln.
Die Bündelung von Auslegungsvorgängen – z. B. nach dem Schweizer Vorbild an vier fixen Terminen im Jahr – erleichtert es der Bevölkerung, festzustellen, wann ihre Mitwirkungsrechte bei welchem Projekt beginnen und wann sie enden. Schluss mit „Frist verpasst”, weil man im Urlaub war, die Zeitung nicht gelesen hat oder weil der Projektträger den berühmten „Ball flach gehalten” hat, um keine „unnötige Aufmerksamkeit“ auf das Projekt zu lenken.
Solche Möglichkeiten, Bürgerinnen und Bürgern die Beteiligung zu erleichtern, sollten nicht als Reaktion auf Vorbehalte oder Proteste „nachgeschoben“ werden. Sie müssen von Beginn an mitgedacht und Teil des Pakets „Planungsbeschleunigung“ sein. Der Strukturwandel gelingt nur mit den Bürgerinnen und Bürgern – deshalb gehören Überlegungen zur Partizipation von Beginn an dazu.