Zurück am heimatlichen Schreibtisch versucht man mit müdem Kopf Eindrücke zu sortieren und zu bewerten. Natürlich nicht im Sinne eines umfassenden, abgewogenen Fazits. Eher als Versuch, eine Struktur für sich selbst zu finden. Also:
Kein politischer Konsens in koreanischer Wiedervereinigungspolitik
In der westdeutschen Innenpolitik war das „deutsch/deutsche Thema“ wenig kontrovers und über die Jahre hinweg eine der Konstanten des Politikbetriebes. In Südkorea ist das deutlich anders. Die beiden großen, politischen Blöcke in Südkorea haben extrem unterschiedliche Auffassungen zur Politik gegenüber Nordkorea. Die Spanne reicht von härtesten Sanktionen und militärischer Stärke bis hin zu behutsamer Wirtschaftshilfe und Annäherung.
Die Linien der Politik bestimmt der Präsident, der alle vier Jahre und nur für eine Amtsperiode gewählt wird. Das Parlament, chronisch zerstritten, wird alle fünf Jahre gewählt. Für konstruktive Politik bleibt da nur ein schmales Zeitfenster von ca. zwei Jahren. Keine guten Bedingungen, eine mittelfristige politische Strategie zu entwickeln und umzusetzen.
Sagen, was man will, und tun, was man sagt
Wiedervereinigung hat Verfassungsrang. Sie wird deshalb von allen Politikern laut gefordert, auf Plakate geschrieben und in allen denkbaren Variationen beschworen. Das Wiedervereinigungsministerium koordiniert die Vorbereitungen der Wiedervereinigung – quer durch alle Ministerien, Behörden und Kommunalverwaltungen. Kein Aspekt bleibt unbeachtet, nicht untersucht. Gleichzeitig hoffen alle, dass dieses Ereignis möglichst nie, wenigstens aber nicht so bald Realität wird.
Rationalität genügt nicht
Der – uns gegenüber – meist genannte Grund für die angestrebte Wiedervereinigung mit dem Norden ist die Hoffnung, daraus wirtschaftlichen Nutzen ziehen zu können. Identität, Emotionalität, Zusammengehörigkeitsgefühl oder auch nur persönliches Interesse? Fehlanzeige.
Rein rationale Gründe für ein Wiedervereinigungsprojekt von Nachbarn, die gegeneinander Krieg geführt haben und einander durch konsequente Abschottung fremd geworden sind – das scheint eine schmale Basis für ein solches Riesenprojekt zu sein.
Koreanisches Interesse an Deutschland ist gut – man kann es noch besser nutzen
Die Koreaner haben beschlossen die deutsche Vereinigung, das „deutsche Modell“ – neben Vietnam –, als Blaupause für ihre Überlegungen zur eigenen Wiedervereinigung zu betrachten. Unabhängig davon, wie sinnvoll das dem Betrachter erscheint – es lenkt kontinuierlich das Interesse von leitenden Mitarbeitern des administrativen Mittelbaus auf Deutschland, Berlin und die Städte, die in der Wendezeit eine wichtige Rolle gespielt haben.
In einer Zeit, in der Asien für die deutsche Wirtschaft immer wichtiger wird, ist das ein Ansatzpunkt, den man – gerade auch in den Städten – besser nutzen kann als bisher.