Über die Aktualität alter Sprichwörter
Schafft eine stärkere Beteiligung der Bevölkerung an Meinungsbildungs- und Entscheidungsfindungsprozessen, bessere Information und mehr Transparenz ein Mehr an Akzeptanz? Führt mehr Akzeptanz zu einer Beschleunigung von Planungsverfahren? Und wenn man von all dem noch mehr machen würde – ginge es dann noch viel schneller?
In einer Studie für das Umweltbundesamt zur Evaluierung der Beschleunigung des Netzausbaus („Evaluierung des gestuften Planungs- und Genehmigungsverfahrens Stromnetzausbau im Hinblick auf seine Wirksamkeit für den Umweltschutz – juristisch, planerisch, technisch“), die wir mit Höch und Partner/Dortmund und SWECO/Bremen im September 2018 vorgelegt haben, spielte die Hoffnung, einen direkten Zusammenhang zwischen „mehr Partizipation“ und “mehr Tempo“ herstellen zu können, eine Rolle. Damit Sie nicht die ganze Studie lesen müssen: Wir haben keinen empirischen Zusammenhang nachgewiesen und sehen damit unsere Erfahrung aus vielen akzeptanzkritischen Projekten – nicht nur beim Ausbau der deutschen Stromnetze – bestätigt.
Partizipation, Projektinformation und ein dies zusammenfassendes, strategisch angelegtes Akzeptanzmanagement sind eben kein Mittel zum Zweck, das jeweilige Projekt durchgesetzt zu bekommen. Sie sind ein Wert an sich, eine Voraussetzung dafür, in einem Land wie Deutschland Projekte realisieren zu können. Sie sind eine Marktzugangsvoraussetzung, die Ausdruck einer gesellschaftlichen Norm ist, die sich in den letzten Jahren rasant herausgebildet hat.
Die Erwartung, dass man als Behörde, Politiker oder Projektträger für verstärkte Bemühungen in Sachen Partizipation und Kommunikation von Bürgerinnen und Bürgern quasi „belohnt“ werden müsse, ist falsch.
Ein rein quantitatives Mehr an Partizipation und Kommunikation führt auch deshalb in die Irre, weil es mit einem erheblichen Ressourcenverbrauch bei allen relevanten Akteuren, natürlich insbesondere bei den Behörden und Projektträgern, verbunden ist. Dies auch, weil das gesellschaftliche Bedürfnis nach mehr Partizipation nicht einhergeht mit einem mehr an Wissen über die – bereits heute – vorhandenen Möglichkeiten, sich zu informieren und seine Interessen in den üblichen Verfahren zur Geltung zu bringen.
Auch wenn es weniger spektakulär ist als immer neue Partizipationsverfahren und Informationsmöglichkeiten zu entwickeln – oder dies zu fordern –, scheinen verstärkte Anstrengungen, die Bürgerinnen und Bürger zu befähigen, die vorhandenen Möglichkeiten unseres Systems für sich zu nutzen, sinnvoller.
Und weil in diesen Tagen kein Newsletter ohne Verweis auf die politische Landschaft auskommt, sei hier eine Parallele gezogen: In den letzten Wochen und Monaten haben Spitzenpolitiker aller Parteien enorme Anstrengungen unternommen, um mit der Bevölkerung ins Gespräch zu kommen (siehe auch den Artikel von Christoph Eichenseer und Katharina Hitschfeld „Die Europawahl: Drei Erkenntnisse aus unserem speziellen Blickwinkel“). Dies hat erhebliche Stimmenverluste von CDU und SPD nicht verhindert. Bedeutet dies jetzt: „Noch mehr Veranstaltungsformate – bis jeder, ob Kind oder Greis, einmal den Ministerpräsidenten oder den sächsischen Wirtschaftsminister persönlich gesprochen hat“? Und: Ist es denn mit einem Gespräch, mit einer Begegnung getan? Sichert erst die erneute Begegnung die ersehnte Wählerstimme? Sicher nicht.
Dass Politiker sich mehr um Dinge kümmern müssen, die den Bürgerinnen und Bürgern wichtig sind, soll hier nicht in Frage gestellt werden. Aber ob dies durch Aufbau von Parallelstrukturen (nichts anderes sind diese Begegnungsformate!) zu unserem demokratischen System geschehen muss, ist fraglich.
Sie stärken nicht die selbstbewusste, bürgerliche Gesellschaft, die um ihre Rechte und Möglichkeiten weiß und diese nutzt. Sie unterstützen die Erwartungshaltung an den Staat, die Obrigkeit, die – gerade in Ostdeutschland – als Quelle manchen Übels in der Gesellschaft beklagt wird. Es wäre deshalb von nachhaltigerem Nutzen, die Elemente unserer repräsentativen Demokratie zu stärken, die Abgeordneten und die Zivilgesellschaft zu unterstützen, als eine Parallelwelt zu errichten, die die Erwartungen, die in sie gesetzt werden, nicht erfüllen kann.
Ob man nun in immer mehr Partizipation bei Infrastrukturprojekten investiert oder glaubt, mit Gesprächsformaten kurzfristig Wählerstimmen gewinnen zu können: „gut gemeint“ ist eben oft das Gegenteil von „gut gemacht“.